WINDVOGELGEDICHTE

Rezension 2

Dein Mund ist der Mond und
der Traum ist dein Kleid

Helmut Glatz

Aspera Verlag für Kunst, Kultur und Hoffnung
ISBN 978-3-981878o-6-6

Helmut Glatz überrascht immer wieder mit einem neuen Buch, das die Vielseitigkeit des Autors bestätigt. Die Windvogelgedichte leitet er ab von dem „Windvogel“, einem Gestell, das, bespannt mit verschiedenen Stoffen, vom Wind in den Himmel gehoben wird. Und er verbindet die Drachen mit hundert gereimten Gedichten und fordert den Leser mit den Worten auf: „…Nehmen Sie ihre Gedanken aus der Schachtel und geben Sie ihnen lange Leine…“
Es sind sehr unterschiedliche Gedichte, humorvoll, besinnlich, satirisch, kritisch, teilweise frühere, teilweise neu gereimte, oft mit einem besonderen Gag. Helmut Glatz beginnt mit einer Reise durch die Jahreszeiten, beginnend mit dem Frühling, und stellt ihm die Frage

Was macht der Frühling?

Was macht der Frühling?
Er fasst mich am Kopf
und füllt ihn mit Licht und mit Luft und Gebraus,
er zaust meine Haare, er fasst mich am Schopf
und trägt mich in Wälder und Wiesen hinaus.
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Was macht der Frühling?
Er bricht alle Schranken
und tanzt mit den Farben, dem Himmel, dem Licht.
Er hüpft hinein in meine Gedanken.
Und was mache ich?
Ein Gedicht.
Ein Gedicht!

Mit Gedichten geht es weiter in den Jahreszeiten, bis das Jahr zu Ende geht. „…Der Winter ist voll Agonie, die Blätter röcheln unterm Schuh…“
Dann kommen andere Gedichte, oft zeitkritisch, die Gegenwart polemisierend. „…die Welt ist morsch, die alten Pfeiler rosten... “, dann tauchen sie wieder hinunter in die Vergangenheit und in Märchen. Der Autor bekundet öfters seine Sehnsucht nach der Ferne, nach Respighis Gärten, nach den großen Kathedralen der Welt, um dann festzustellen: „…so ist die Welt/ wir sind doch nur die Dummen/ und über uns regiert das Kapital/ Die Tickets sind gelöst, im Wartesaal/ des Leben stehn die Dichter und verstummen.“
Die Vielseitigkeit der gereimten Gedichte ist einfach überwältigend.

Ich möchte noch auf ein Gedicht zurückkommen, mit dem Glatz im Jahr 2006 als Erster den Juniorenpreis gewonnen hat, der damit beim Leserwettbewerb überhaupt erst eingeführt wurde.

Göttin auf der Rolltreppe

Wie Aphrodite aus den Wellen
tauchen Haare auf, rotblond,
dann die Stirne, dann die hellen
Augen, Brauen wie der Mond.

Ins Licht gewölbt das Kinn, die Brüste
(leicht umkleidet, luftig, jung),
naht sie sich der Felsenküste,
strahlend, schwebend. Dann der Sprung

aus dem steten Sog der Stufen
auf das sicher-feste Land.
Flücht´ger Lidschlag, Flötenrufen.
Plastiktüte in der Hand,

eilt die Göttin, lässt mich stehen,
stehn wie an des Lebens Rand.
Schon ist sie nicht mehr zu sehen,
weiter rollt das Förderband.

Die einzelnen Kapitel sind verbunden mit Helmut Glatz´ lustigen Zeichnungen, sie fügen sich mit den zauberhaften Texten zusammen zu einem Hohelied auf den Reim.

Christine Michelfeit